AKTION UNGEZIEFER (2012)
60 Jahre Ausbau der innerdeutschen Grenze

zwei-tage

Vorbemerkung

60 Jahre Ausbau der innerdeutschen Grenze
Auf der 2. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vom 9. bis 12. Juli 1952 verkündete der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Walter Ulbricht, den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus" in der Deutschen Demokratischen Republik. Nur wenige Wochen zuvor, am 26. Mai, hatte das SED-Regime damit begonnen, die Demarkationslinie zur Bundesrepublik abzuriegeln und Regimekritiker aus dem Grenzgebiet zwangsweise auszusiedeln. Diese erste Welle der Zwangsaussiedlung, intern „Aktion Ungeziefer“ genannt, betraf nahezu 12.000 Personen. Ganze Familien wurden ins Landesinnere verbracht, eine Rückkehr wurde nicht in Aussicht gestellt. Unvermittelt sahen sich ganze Gebiete und Gemeinden zu Randregionen degradiert. Im Laufe der nächsten Jahre wurden zahlreiche Ortschaften und einzelne Gehöfte dem Erdbodengleichgemacht, um freies Schussfeld zu haben. Die Grenzlinie wurde systematisch zu einer mit Stacheldraht gesicherten Sperrzone ausgebaut, die fortan nicht nur die Flucht der eigenen Bürger gen Westen verhindern, sondern auch „Feinde" der neuen Ordnung fernhalten sollte. Dennoch verließen insgesamt ca. 4,4 Millionen Deutsche „illegal“ die sowjetische Besatzungszone/DDR davon 40.000, die unter Lebensgefahr direkt die Sperranlagen überwanden, und viele, die über die Ostsee oder Drittstaaten flüchteten. Zahlreiche Menschen verloren bei Fluchtversuchen ihr Leben und unzählige Flucht- oder Ausreisewillige Personen wurden auf Jahre völkerrechtswidrig in Gefängnisse weggesperrt.

Das Skulpturenensemble „Aktion Ungeziefer“

Das dreiteilige Ensemble befindet sich innerhalb des Grenzdenkmals zwischen dem „Kolonnenweg“ und dem östlichen „Grenzsicherungs- und Signalzaun“.
Der mit Stacheldraht umwickelte „Globus“, als erster Teil des 60 x 10 m großen Kunstwerks symbolisiert nicht nur die Sehnsucht der Menschen, hinter dem Stacheldraht, nach fernen, unerreichbaren Ländern dieser Erde, sondern auch die weltweit noch heute bestehenden Grenzen zwischen Nationen und Regionen, die Menschen aus ideologischen, ethnischen oder materiellen Gründen ein- oder aussperren. Die Fotos in ihm sind Erinnerungsfetzen an die alte Heimat, die Menschen mitnehmen, wenn sie gezwungenermaßen oder auf der Suche nach Freiheit ihre Heimat verlassen müssen. Der „Ring der Menschenrechte“, in dem der Globus steht, verweist auf die 30 Artikel der „Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte“, die 1948 von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet wurden und Gesetzesgrundlage aller demokratischer Staaten sind. Der Gebäudegrundriss (8 x 10 m) entspricht dem eines originalen Wohnhauses eines der grenznahen, geschleiften Dörfer, wie das an der Elbe gelegene Stresow. Die „Grundmauern“ tragen nicht nur die Namen jener abgerissenen Ortschaften, sondern auch die Bezeichnungen der verschiedenen Zwangsaussiedlungs-Aktionen.

Die 60 weißen, über dem Boden gespannten Planen symbolisieren die vor 60 Jahren begonnene Zwangsaussiedlung. Jede Plane ist mit je 200 „Zellen“ und exemplarisch mit fiktiven Namen versehen. Diese insgesamt 12.000 Zellen stehen für eben jene 12.000 zwangsausgesiedelter Menschen entlang der Demarkationslinie. Die Anordnung der Planen in Form einer Kolonne assoziiert die pervertiert pedantische Planung und Ordnung, mit der die Umsiedlungsaktionen von den Staatsorganen der DDR geplant und von Staatssicherheit und Volkspolizei umgesetzt wurden. Das ganze Figurenensemble ähnelt einem riesigen sprachlosen Ausrufungszeichen, wie am Ende eines stillen Aufschreis. Der in direkter Fluchtlinie des Kunstwerkes, in der Ferne stehende „Kommandoturm“ mit seiner einstigen überwachenden und kontrollierenden Funktion ist sinnfälliger Bestandteil des künstlerischen Konzeptes und bildet gleichzeitig den Abschluss der Arbeit von Dagmar Calais.

Text aus dem Begleitflyer zur Ausstellung

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