Bremen – Theresienstadt, Fahrt ins Ungewisse
Die Deportation von Menschen mit jüdischen Wurzeln von Bremen nach Theresienstadt
Im Oktober 1938 wurde das Sudetenland (heute: Tschechische Republik) in das Deutsche Reich eingegliedert.
Ein halbes Jahr später verleibte sich das NS-Regime widerrechtlich die restliche Tschechoslowakei ein und rief das „Protektorat Böhmen und Mähren“ aus.
Ab Sommer 1941 baute das NS-Regime das Garnisonsstädtchen Theresienstadt (Terezín) zum Ghetto aus. Nachdem die 1.500 tschechischen Einwohner aus der Stadt vertrieben waren, wurden ab Ende November 1941 Juden aus dem gesamten Protektorat Böhmen und Mähren nach Theresienstadt deportiert. Im Mai 1942 waren es 28.000 Internierte, die in den Kasernen zusammengepfercht wurden. Nachdem Theresienstadt zum „Altersghetto“ bestimmt wurde, kamen ab dem Sommer 1942 Zehntausende ältere Menschen aus dem Reichsgebiet, und prominente oder Weltkriegsausgezeichnete Juden aus dem besetzten Westeuropa hinzu.
Noch Anfang 1945 folgte die Personengruppe, die von der Nazi-Bürokratie „Geltungsjuden“ genannt wurde, meist Halbjuden oder jüdische Ehepartner von Personen nicht mosaischen Glaubens.
Die Ghetto-Verwaltung lag in den Händen eines „Judenrates“, der jedoch den Vorgaben der Nationalsozialistischen Lagerverwaltung zu folgen hatte.
Am 9. Januar 1942 ging der erste von 63 Transporten von Theresienstadt „in den Osten“ ab.
Ab März 1942 folgten Transporte in die Vernichtungslager Treblinka und Auschwitz-Birkenau
Insgesamt waren in Theresienstadt 140.000 Juden interniert, darunter ca. 70.000 ältere Menschen. Über 33.000 Internierte starben in Theresienstadt. Von den 88.000 in den Osten Deportierten überlebte kaum einer.
Deportation von Bremen nach Theresienstadt
Am 20. Januar 1942 beschlossen hochrangige Teilnehmer der berüchtigten Wannseekonferenz, in Theresienstadt zusätzlich Juden zu internieren, die älter als 65 Jahre oder Kriegsveteranen des 1. Weltkrieges waren. Zu diesem Zweck bot man ihnen eine „Umsiedlung“ in das „komfortabel ausgestatteten Reichsaltersheim für Juden, Theresienstadt“ an. Man garantierte ihnen mit dem Abschluss eines sogenannten „Heimeinkaufsvertrags“ gegen Zahlung hoher Geldbeträge eine lebenslange Versorgung. Egal, ob jemand diese „Heimeinkaufsverträge“ unterschrieben hatte, oder nicht: Im Sommer 1942 begannen die Massentransporte der Alten nach Theresienstadt.
Schon 1939 hatten die Nazis die deutschen Juden in der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ verwaltungstechnisch zusammengefasst. Die örtlichen Leiter der Reichsvereinigung wurden gezwungen, für die jeweiligen Deportationen die Namenslisten zusammenzustellen. Eine dieser Listen wurde von den Bremer Behörden für den „Sondertransport“ vom 23. Juli 1942 nach Theresienstadt genutzt.
An diesem Tag wurden die jüdischen Altenheime in Bremen und die sogenannten „Judenhäuser“ geräumt, der Hausrat und jeglicher anderer Besitz aufgelistet und beschlagnahmt. 163 auf der Liste stehende alte Menschen wurden nach Hannover, und von dort aus planmäßig um 15:15 mit einem Sammeltransport der Deutschen Reichsbahn nach Theresienstadt geschafft.
Noch im Mai 1942 betrug die Zahl der deportierten Juden aus dem Protektorat 28.000. Durch die Zuweisung der Alten wuchs die Zahl bis September 1942 auf über 58.000 an. Die Neuankömmlinge mussten sich mit dem Platz zufrieden geben, der übrig geblieben war, meist nur die ungeheizten Dachböden, ohne jegliche sanitäre Einrichtungen. Viele Menschen starben in Theresienstadt an Hunger und Krankheiten oder wurden in Vernichtungslagern wie Auschwitz und Treblinka ermordet.
Am 13. Februar 1945 wurde aus Bremen ein weiterer Transport mit 57 sogenannten „Geltungsjuden“ auf den Weg nach Theresienstadt gebracht. Diese Bezeichnung wurde mit „Mischehen“ zwischen einem jüdischen und deutschen Partnerteil in Verbindung gebracht.
Nur den chaotischen Bedingungen der letzten Wochen vor Kriegsende ist es zu verdanken, dass die Aktion abgebrochen wurde, und die aus Bremen Deportierten Theresienstadt lebend verlassen konnten.
Für die Bremer Künstlerin Dagmar Calais ist die Umsetzung von Ereignissen der jüngeren deutschen Geschichte ein Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit.
Für diese Rauminstallation goss Dagmar Calais per Hand 230 „Gedenktafeln“ in Beton, für jede der meist älteren, im Juli 1942 und Februar 1945 von Bremen nach Theresienstadt deportierten Menschen mit jüdischen Wurzeln. Die Namenstafeln auf dem Boden weisen in Richtung auf das Gemälde vom Bremer Hauptbahnhof, dem Beginn einer Reise, die meist ohne Wiederkehr in Theresienstadt oder den Vernichtungslagern endete.
Kurator der Ausstellung: Chris Steinbrecher, Bremen
english version
Bremen – Terezien, Journey with uncertain end
The deportation of people with Jewish roots from Bremen to Theresienstadt
In October 1938 the Sudetenland (now Czech Republic) was illegally integrated into the German Reich.
Six months later, the Nazi regime illegally annexed the rest of Czechoslovakia and proclaimed the „Protectorate of Bohemia and Moravia“.
As of summer of 1941, the Nazi regime converted the garrison town Theresienstadt (Terezín) into a ghetto. After the 1,500 Czech inhabitants were banished from the city, Jews from the entire Protectorate of Bohemia and Moravia were deported to Theresienstadt during November 1941. In May 1942, 28,000 internees were crammed in the barracks. After Theresienstadt was declared an „old-age ghetto“ in summer 1942, tens of thousands of elderly people from the Reich, as well as prominent and decorated veteran Jews from occupied Western Europe, were interned.
As early as the beginning of 1945, groups of so-called „Geltungsjuden“ - half-Jews or Jewish spouses of persons of non-Mosaic faith - followed.
The administration of the ghetto was in the hands of a „Jewish Council“, which, however, had to follow the guidelines of the National Socialist camp administration.
On January 9, 1942, the first of 63 transports departed from Theresienstadt eastwards.
Starting in March 1942 transports to the extermination camps Treblinka and Auschwitz-Birkenau followed.
In total 140,000 Jews were interned in Theresienstadt, including about 70,000 elderly people. Over 33,000 internees died in Theresienstadt. Very few, if any, of the 88,000 internees deported to the East had survived.
Deportation from Bremen to Theresienstadt
On January 20, 1942, high-ranking participants of the infamous Wannsee-Conference decided to additionally deport to Theresienstadt Jews, who were older than 65 years 0f age or were veterans of World War One.
For this purpose, they were offered a „resettlement“ to the „comfortably furnished Reich’s retirement-home for Jews, Theresienstadt“. With the closure of a so-called „home purchase contract“, and the payment of a high fee they were guaranteed a lifelong sustenance. Regardless someone had signed these „home purchase contracts“, or not: the mass transportation of the elder people to Theresienstadt began in the summer of 1942.
As early as 1939, the Nazis had made assessment of the German Jews in the „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ (administrative union of the Jews in Germany). The local heads of the „Reichsvereinigung“ were obliged to compile lists of names for deportations. One of these lists was used by the authorities in Bremen for the „special transport“ to Theresienstadt on July, 23, 1942.
On that day the Jewish retirement homes and the so-called „Jew Houses“ in Bremen were cleared out, the household goods and all other possessions were listed and confiscated. 163 of the listed old people were brought to Hanover, and from there to Theresienstadt in a collective transport with the German Reichsbahn.
Still in May 1942 the number of Jews deported from the Protectorate was 28,000. Due to the allocation of elderly people, the number increased to 58,000 by September 1942. The new arrivals had to settle for the remaining space, mostly in unheated attics and without any sanitary facilities. Many people died from starvation and hunger and disease in Theresienstadt or were murdered in extermination camps like Auschwitz or Treblinka.
On Feb. 13, 1945 a further Transport with 57 so-called „Geltungsjuden“ was initiated. The term „Geltungsjuden“ was associated with intermarriages between a Jewish and a German partner. It was only due to the chaotic circumstances of the last few weeks before the end of the war that the action was interrupted and the deportees from Bremen could leave Theresienstadt alive.
The Bremen artist Dagmar Calais has in her art focused upon events in recent German history.
For this installation, Dagmar Calais hand-cast and inscribed 230 memorial plaques in concrete, one for each person with jewish roots who had been deported from Bremen to Theresienstadt in July 1942 and February 1945. The nameplates on the floor point towards a painting of the Bremen central-station, representing the beginning of a one-way journey, which usually ended in Theresienstadt or in the extermination camps.
Curator of the exhibition: Chris Steinbrecher (Bremen)