AUF DER SUCHE NACH FREITAG (2004)

zwei-tage

Robinson – Auf der Suche nach Freitag
Eine Installation von Dagmar Calais

Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe,übt bei genauerer Betrachtung Kritik an der dekadenten englischen Oberschicht des frühen 18. Jahrhunderts, die von Überfluss und Arroganz geprägt ist, fern von der Alltagsrealität der ärmeren Bevölkerungsschichten. Vor diesem Hintergrund schickt Defoe seinen Helden ins gesellschaftliche Nichts einer einsamen Insel. Robinson wird auf sich selbst zurückgeworfen. Durch Fehlen jeglicher sozialer Interaktion und den tagtäglichen Herausforderungenwerden Zeit und Ewigkeit bedeutungslos und nur durch das Entwickeln aller kreativen Energien sichert er sein Überleben.

Robinson meistert den Alltag, arrangiert sich mit diesem einsamen Dasein, die fehlenden sozialen Kontakte holt er sich nachts in seinen Träumen zurück.

Dieser innere Frieden wirdmit den Fußspuren am Strand, nach über 20 Jahren ohne eine menschliche Seele empfindlich gestört. Nicht etwa freudige Erwartung, dass er nun auf Menschen treffen könne, die seine Einsamkeit lindern oder gar seinen Aufenthalt hier beenden könnten, sondern eine unbeschreiblich Angst vor dem Neuen, Unbekannten überfällt ihn. Der Fußabdruck wird zur neuen Erfahrung, zur Spur, die in den eintönigen Alltag durchbricht und neue gedankliche, aber auch Angst machende Herausforderungen nach sich zieht.

Robinson schafft sich eine Welt von Robinsons Gnaden, die erst ihren Abschluss darin findet, indem nun Freitag als Höhepunkt schöpferischer Herausforderung auf die Insel kommt und dessen Geist, anders als das Gott-Mensch-Verhältnis in der Genesis, von Robinson nach dessen Willen geformt und korrigiert wird. „Auf der Suche nach Freitag“, wie Dagmar Calais ihre Ausstellungbetitelt, beabsichtigt nicht, Freitags Assimilierung an die Kulturauffassung eines Robinsons zu thematisieren, sondern sich über ihn den weisen Erkenntnissen scheinbar unentwickelter Kulturen anzunähern.

Nicht von ungefähr erinnern die 12 aufgestellten schwarzen Stelen an Stonehenge oder an die bronzezeitliche Sternwarte von Goseck in Sachsen-Anhalt.Staniolkugelnauf den Stelen werden zu den 12 Tierkreiszeichen verdichtet, wie insgesamt das Ensemble auf die Nutzung der Sternbilder für die Lebensorganisation archaischer Völker verweist. Begleitet werden die Stelen von 5 langen Leinwandbahnen, auf denen überlebensgroße Frauengestalten zu sehen sind, die an steinzeitliche Fels- oder Höhlenmalereien erinnern.

Es sind Tänzerinnen, deren Körper durch die wilden Bewegungenmit stroboskopartigen Farbblitzen überzogen sind. Wie in Ekstase verlieren sie ihre Bewusstheit und Körperlichkeit und werden auf diese Weise Bestandteil des unwirklich ornamentierten Hintergrundes.

Eine der Figuren präsentiert sich uns als archaische Venus, als Fruchtbarkeitssymbol, das in der Inseleinsamkeit Robinsons völlig absurd erscheint! Erdachten weiblichen Wesen bleibt hier Dank Abwesenheit realer Frauen nur die übernatürliche Göttlichkeit.

Dagmar Calais verweigert sich mit ihrer Arbeit „Suche nach Freitag“ einer klassische Bildlösung. Ihr Weg führt sie mittels eines raumgreifenden Environments zum utopischen Weltbild der englischen Aufklärung, das sie mit ihrer Kunst an den Romanfiguren Defoes spiegelt, um sie gleichzeitig entsprechend ihrer humanistischen Weltsicht mit den ihr eigenen kreativen Mitteln in die Gegenwart zu transformieren. Das rein Erzählerische wird völlig aufgehoben und in Richtung einer sinnlich erlebbaren Aussage fokussiert, die bei aller Archaik von einer vieldeutigen Zeitlosigkeit getragen ist.

Chris Steinbrecher

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